Wer viel unterwegs ist, hat irgendwann auch mal Heimweh. Aber wo liegt die Heimat, woher kommt der Schmerz? Wo ist zu Hause? Als ich auf der anderen Seite der Welt auf Trallafitti war, da war alles total klar. Ich komme aus Europa. Aus Deutschland. Der Rest hat erstmal nicht interessiert. In Asien wollte man von Thomas immer noch zusätzlich wissen, ob er verheiratet ist, wieviele Kinder er hat und was er verdient. Das macht man dort, um herauszufinden, wer in der Kommunikation höher gestellt ist und wer niedriger. Am Ende haben wir der Einfachheit halber gesagt, dass wir verheiratet sind und auf unser erstes Kind hoffen. Dann waren alle zufrieden und konnten uns einordnen.
Wenn ich in Europa unterwegs bin, bin ich aus Deutschland. Dann konnte ich bisher immer sagen: Hamburg. HSV. Reeperbahn. Hamburg kennt man. Aber wenn ich innerhalb von Deutschland auf Trallafitti bin, dann wird es schwieriger. Bei meiner Familie im Ruhrgebiet sag ich, ich bin zu Besuch, ich wohne inzwischen da und da. Als ich in Köln gearbeitet habe, kam ich aus der verachteten Ecke bei Düsseldorf. In Hamburg kam ich aus dem Süden, nämlich von der anderen Elbseite. Wenn ich ein paar Tage in Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen verbracht habe, war ich auch nach all den Jahren bei den älteren Menschen immer noch oft eine aus dem Westen. Und jetzt bin ich eine Norddeutsche, aber erst seit ich in Baden-Würtemberg lebe. Ein echter Fischkopf.
Dabei können alle immer gut verstehen, dass ich:
- aus dem Ruhrgebiet weggegangen bin (soll aber ja eigentlich ganz grün da sein)
- nach Hamburg gegangen bin (fast jeder LIEBT Hamburg. Manche waren auch schon mal dort, besonders gern im Musical oder Miniaturwunderland...)
Aktuell kann ich aber wirklich nur sagen, dass ich hier wohne. Zu Hause ist inzwischen eine Mischung aus NRW und Hamburg, rein sprachlich ein wahres Kuddelmuddel. Schwäbisch hat sich noch nicht eingeschlichen in meinen Sprachgebrauch. Hier unten habe ich einige Nordrheinwestfalen kennen gelernt, wir treffen uns gerne mal, da ist die Verständigung einfacher. Im Herzen bin ich ein Pottkind, aber irgendwie ist mein Heimathafen doch Hamburg. Da sind meine Freunde und wenn ich hier weg gehen würde und das Ziel nicht gerade Norwegen oder Australien sein sollte, dann würde ich wieder zurück nach Hamburg gehen. Denn da ist das Wetter gar nicht so schlecht, wie immer alle sagen. Nur das mit den fehlenden Bergen stimmt leider...
Nun denn, die rauhe Herzlichkeit und die schnodderige Art der Menschen im Ruhrgebiet gefallen mir schon ganz gut. Mein Herz macht Luftsprünge, wenn ich in Essen im Café sitze und den Gesprächen am Nachbartisch lausche. Hellich, sachich! Und ich habe neben meiner Liebe zur Ruhr auch eine große Begeisterung für Zechen und Industriekultur entwickelt.
So kann ich mich erinnern, um das Jahr 2000 herum noch auf Zollverein wild durch die Gegend gestreunert zu sein. Damals war es kein Problem, auf die Gebäude zu klettern oder in alte Hallen zu schlüpfen. Das war aufregend und ist heute so nicht mehr machbar. Ebenso wie man leider in der Kokerei Zollverein nicht mehr mit dem tollen Riesenrad fahren kann... Aber die Zechenliebe bleibt und die totale Begeisterung für den Landschaftspark Nord in Duisburg oder die Schurenbachhalde auch. Es gibt einfach so viele tolle, spannende Orte dort!
Als ich nach meinem Studium von Essen nach Hamburg gezogen bin, war es so, dass ich die Freundlichkeit der Hamburger sehr angenehm empfand. Alles war viel netter als zu Hause. Halt nicht immer 'nen doofen Spruch abzubekommen, ist auch mal ganz schön. Ich habe diese oberflächliche Freundlichkeit genossen. Die kühle hanseatische Seite gibt es wohl auch, aber ich finde diese korrekte Art eigentlich ganz angenehm. Ich finde es nicht unbedingt immer nötig, direkt mit der Tür ins Haus zu fallen.
Aber ich habe mich dennoch da oben im Norden immer als Kind des Ruhrgebiets gefühlt. Ich war z. B. nie Karnevalistin, aber in Hamburg habe ich plötzlich meine Rheinische Seite an mir entdeckt. Die lebensfrohe, lustige, Sprüche klopfende. Nicht immer, aber schon hin und wieder. Und diese körperliche Distanz, die dort oben gepflegt wird, die habe ich nicht verstanden. Ich habe munter, alle Leute die mir lieb waren direkt umarmt. Fanden die komisch. Aber sie haben sich dran gewöhnt. Und ich mich an das Tuten der Schiffe im Hafen und an die Fangesänge bei Heimatspielen vom FC St. Pauli. Beides konnte ich all die Jahre von meiner Wohnung aus hören. Daran denke ich wirklich gerne zurück. Weniger an die Wasserwerfer vorm Haus, wenn Schanzenfest war oder an die Zeit als ständig Autos in unserer Straße brannten...
Besonders wenn der hanseatische Geldadel in meiner Nähe war, habe ich mich nicht mehr wohl gefühlt in meiner Haut. Aber nachdem ich nicht mehr bei Agenturen in Alsternähe gearbeitet habe, war das Zusammentreffen mit dieser Schicht auch so gut wie vorbei. Gearbeitet habe ich dann in einem jungen Startup im Schanzenviertel. Hat besser zu mir gepasst, aber auch diese Klischees, die dort erfüllt wurden waren manchmal etwas anstrengend. Aber auch lustig. Alle sehen gleich crazy individuell aus. Die Mittagspausen auf dem sogenannten Galaostrich habe ich zumindest immer sehr genossen. Leckeres Essen und Leute gucken! Tolle Kombination.
Inzwischen lebe ich in Baden-Würtemberg, genauer gesagt in Schwaben. Am Albtrauf. (Was der Albtrauf genau ist erfahrt ihr wenn ihr möchtet hier). Das war dann doch irgendwie ein Schock das hier ankommen. Nicht weil die Mieten hier auch horrend hoch sind. Nein, Vorurteile habe ich gehabt, klar. Und die wurden leider nicht bestätigt, sie wurden weit übertroffen. Hier bin ich die Norddeutsche. Ich gehöre nicht dazu, aber das finde ich inzwischen auch ok. Man unterstellt mir, dass ganz klar zu hören sei, dass ich aus Hamburch komme. Ich dehne Vokale und benutze Wörter wie "Büddel" und "Tüddel". Aber ich finde es sehr schön hier. Landschaftlich. Wirklich.
Nur Freundlichkeit gibt es hier leider nur wohldosiert - oder gar nicht. Und das liegt nicht daran, wie es in den Wald ruft... Der Schwabe ist halt etwas anders drauf, was sich an vielen Sprichwörtern zeigt. "Net bruddelt ist genug gelobt" bedeutet soviel wie "Nicht gemeckert ist genug gelobt". Und so verhält es sich auch im Alltag. Besonders beim Auto fahren. Da kennen die Schwaben kein Pardon. Die Grundregeln hier sind, niemanden vorlassen, reinlassen oder in irgendeiner Form Rücksicht nehmen. Heiligs Blechle! Man sagt hier auch nicht "Danke" oder "Gerne", sondern: "Ischorecht". Heißt: "Ist schon recht" und soll Wohlwollen ausdrücken. Weisse Bescheid!!!
Zusammengefasst: je weiter weg von der Heimat, umso klarer ist sie zu erkennen. Vielleicht reise ich daher so gerne. Ich bin zu Hause im Ruhrgebiet, auch wenn ich mich da nicht mehr so gut auskenne. Darum lese ich den Blog von Heimatpottential, damit ich auf dem Laufenden bleibe. Zu Hause und Heimat ist definitiv Hamburg, denn da kenne ich mich extrem gut aus. Seit ich dort nicht mehr lebe, mag ich auch plötzlich Anker und anderes maritimes Gedöns... fast etwas peinlich...
Und aktuell wohne halt in Schwaben. Aufm Dorf. Und bin sehr glücklich damit. Denn hier ist die Natur direkt vor meiner Haustür, dass habe ich mir seit langer Zeit gewünscht. Und das mit vor der Haustüre meine ich genau so wie ich es schreibe!
Zum Einschlafen lausche ich der Eule, die im Baum neben dem Haus wohnt. Und wenn ich Lust auf Großstadt habe, dann besuche ich meine Familie im Pott oder meine Freunde in Hamburg oder die in Berlin. Obwohl, da sind mir zu viele Schwaben! Und noch viel cooler ist es, wenn meine Freunde hierher kommen und ich meine neue, furchtbar uncoole Heimat präsentieren kann, die einfach nur wunderschön ist. Die Schlösser und Burgen, der Albtrauf und die Wachholderheiden! So schön! Muss man sich halt mal zwischendurch die Ohren zuhalten und manchmal in den Orten auch die Augen, aber das ist nun wirklich überall auf der Welt so! Oder mal nach Tübingen fahren, da ist die Welt schon etwas freundlicher und internationaler.
Zu Hause ist da, wo ich aktuell wohne. Da, wo ich zu zweit bin. Stimmt also irgendwie wirklich das Sprichwort: "Home is where your heart is". Und das kann nun mal wirklich überall sein, das Herz. Solange man mal irgendwo Wurzeln geschlagen hat oder hatte, ist dort die Heimat. Egal ob man dort noch lebt oder nicht. Und dieses Stück Heimat trage ich im Herzen. Von überall etwas: ein paar Zechen, viele Containerschiffe und einige Butterbrezeln. Ein norddeutsches Pottkind mit Wohnsitz im Ländle!
Und zum Abschied noch ein Fundstück aus Berlin. Dort werden Schwaben bekanntlich sehr geschätzt...
Na tolle, liebe Tine. Da bin ich im grauen Novemberwetter sowieso schon melancholisch gestimmt. Jetzt kommst du noch mit Herz und Heimat und so Zeuchs. Datt is herzerweichend, hömma. Ich möchte sofort nach Rügen und gleichzeitig nach Hause innen Pott.
AntwortenLöschenIst das ernsthaft der Blick aus deiner Haustür? Und ne Eule im Baum? Ich bin ehrlich maximal neidisch. Muss ich wohl doch in Richtung Alb ziehen... Sehr schön geschrieben! Da konnte ich selbst mit meinem Süd-Süd-Gefälle hier in Schwaben als gebürtiger Unterfranke ("Kannscht du dann als Bayer auch so richtig Dialekt?") und Ex-Münchner ("Du bist doch kein Bayer, du bist Franke!") glatt mitfühlen :)
AntwortenLöschenGroßartiger Blog.
hallo bernd,
Löschenwie freu ich mich über deinen überaus netten kommentar! freu mich sehr!
viele grüße, tine
Hallo Tine, ich habe heute deine Seite über meine Kollegin Ingrid (Mutter von Thomas) kennen gelernt und bin total begeistert. Ein Tipp von mir...ich wohne im schönen Lenninger Tal in Gutenberg und da gibt es das Donntal. Entlang der weißen Lauter gibt es die schönsten und romantischten Plätze. Fahrt mal hin.
AntwortenLöschenAch, auch hier kann ich so viel nachvollziehen. Nur, dass ich nie auf dem Land glücklich wurde. Ok, vor meiner Haustüre war auch nicht die Natur,sondern die B8 - und ich war dort ganz alleine und kam an die Leute nicht ran. Ein echte Unding. Man kommt einfach nicht ran... aber sonst weiß ich, wovon du sprichst. ohhh, so gut. Gebürtiger Franke und das auch mit dem Herzen, aber stark geprägt von Wien als der idealen - wie mir jetzt scheint - Lebensumgebung. Tja... so ists, wenn man unterwegs ist, man reflektiert über so viel, was einem vorher gar nicht in den Sinn kam.
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